Hikite oder die zurückziehende Hand
In der Übersetzung aus dem Kanji (Schriftzeichen) sind zwei Auslegungen möglich. Zum einen das „Zurückziehen“, zum anderen aber auch das „Ziehen“ – zwei ähnliche Bezeichnungen, die unterschiedliche Inhalte meinen.
Unter dem Begriff „Zurückziehen“ ist wohl eher die entgegengesetzte Bewegung zur schlagenden (stoßenden) Faust zu verstehen.
Die Begrifflichkeit „Ziehen“ bezieht sich auf einen vorausgegangenen Griff des Gegners, der dann herangezogen wird. Gleichzeitig erfolgt der Gegenangriff mit der anderen Seite.
Insbesondere im Bereich der Bunkaiform (Anwendung der Katatechniken) gewinnt diese Betrachtung des Ziehens, Greifens und Klammerns an Bedeutung. Dabei sollte nicht verkannt werden, dass ein Ziehen, Greifen oder Klammern des Gegners – egal in welcher Form – auch eine „Selbstbindung“ darstellt. In diesem Fall ist die Hand, die Hikite ausübt, nicht mehr frei in der Bewegung (z. B. für eine weitere Technikausführung). Darüber hinaus steht der Hikitearm nicht mehr für eine passive Deckungsarbeit zur Verfügung. Besonders in Systemen, die auf Vollkontakt trainieren, ist zu beobachten, dass die passive Deckungsarbeit für eine erfolgreiche Abwehr mit Konter von existenzieller Bedeutung ist.
Werner Lind weist in seinem Lexikon „Ostasiatische Kampfkünste“ darauf hin, dass durch Hikite die Kraft und Schnelligkeit trainiert wird. In diesem Zusammenhang bietet sich eine biomechanische Überlegung an. Für eine schnelle oder kraftvolle Bewegung ist es wichtig, dass die aktiv beanspruchte Muskulatur trainiert ist. In der Anatomie wird der Muskel, der eine Bewegung vorgibt, als Agonist bezeichnet. Der entsprechende Gegenmuskel wird als Antagonist bezeichnet. Beide Muskelgruppen arbeiten bei jeder Bewegung zusammen. Hat sich ein Muskel (z. B. Bizeps) zusammengezogen, so benötigt er den Gegenmuskel (Trizeps), um wieder zu entspannen.
Agonist und Antagonist sollten immer ähnlich stark ausgebildet sein. Im Krafttraining hat das Zusammenspiel von Agonist und Antagonist die entsprechende Bedeutung gefunden (z. B.: Supersatzmethode). In der Kampfkunst Karate findet dieses Prinzip in der Grundschule (Kihon) Beachtung.
In den Katadarbietungen tritt die zurückziehende Hand nicht mehr so stark in den Vordergrund. Bunkaiformen oder Deckungsarbeit kommen ausgeprägter zum Vorschein. Gleichwohl gibt es auch deutliche Hinweise auf das schnelle Zurückziehen der Arme. So wird zum Beispiel in der Kata Superimpai die Mawashi-Uke schnell zurückgezogen, während die daraus resultierende Angriffstechnik langsam ausgeführt wird.